Giga LAN
Florian Schiel
Die folgende Episode ist (wieder mal)
schamlos aus dem wirklichen Leben geklaut!
Man sollte immer zuerst auf seinen Kalender schauen! IMMER! (Deshalb ist es ja auch so wichtig, einen
Bastard Ausredenkalender sein eigen zu nennen - aber das nur am Rande!)
Hätte ich heute morgen als erstes auf den Kalender geguckt, wäre mir aufgefallen, dass das Semester heute
noch gar nicht zu Ende ist, wie ich dachte, sondern erst nächste Woche!
Am ersten Tag der Semesterferien pflegt nämlich immer mein Bastard Banker from Hell anzurufen, um mir
mitzuteilen, wie viele illegale Fußbodenabnutzungsgebühren, Bibliotheksabgaben und falsch abgerechnete
Reisespesen sich im Laufe des Semesters auf meinem Schweizer Nummernkonto angesammelt haben. Und da
mich diese Info verständlicherweise brennend interessiert - schließlich hängt davon ab, ob ich mich dieses Jahr
auf den Malediven oder in Mallorca vom Stress des Beamtenalltags erholen werde -, hebe ich, als das Telefon
läutet, ganz gegen meine sonstige Gewohnheit sofort ab.
"Ja?"
"Äh ...", sagt es auf der anderen Seite. Ich höre sofort, dass es nicht mein Banker ist. Der Anrufer scheint aber
ebenso überrascht zu sein wie ich. Vermutlich hat er sich schon daran gewöhnt, dass unter dieser Nummer nie
jemand abhebt, und nun das.
"Is' dort die Computer-Technik?" nuschelt er nach zwei Schrecksekunden tapfer.
"Hmm ... ja, man könnte es so nennen", sage ich und reiße wütend das alte Kalenderblatt ab. "Was gibt's denn?"
So und so, erklärt der Anrufer umständlich, der sich als Gentechniker aus dem neuen Gen-Zentrum nebenan
identifiziert: er habe in einen neu akquirierten Laborraum von der Haustechnik eine Kategorie-6-Verkabelung
legen lassen, und jetzt gebe es aber Probleme mit dem Netzwerk.
"Was denn für Probleme?" frage ich mit Engelsgeduld.
"Naja, es funktioniert nur mit 100MB, aber nicht mit GigaBit ..."
Ich seufze. Da besitzt man nun die geistigen Anlagen für drei Nobelpreise und wird mit solchen banalen
Kleinkram belästigt. Da ich zu faul bin, mir selber etwas auszudenken, google ich rasch ein paar passende
Stichworte und finde auf Anhieb einen vielversprechenden Chat zum Thema 'Fliehkräfte bei GBit LAN'. Ich
überfliege rasch ein paar Beiträge.
"Ja ... hm ... wie sind denn die Kabel verlegt worden? Gehen die da irgendwo scharf um die Ecke?"
"Ja ... äh ... ich denke schon, dass ..."
"Könnte vielleicht daran liegen", sage ich, "bei GBit müssen in der gleichen Zeit 10mal mehr Elektronen durch
die Leitung, ist klar oder? Das geht natürlich nur, wenn die Elektronen 10mal schneller fliegen als sonst. An den
Ecken sind dann die Zentrifugalkräfte unter Umständen so hoch, dass die Dinger 'raustunneln ..."
Acht Sekunden Denkpause. Dann ungläubig:
"Echt? Aber ... aber ich dachte immer, Elektronen haben praktisch keine Masse. Da können doch nicht so große
Kräfte auftreten ..."
Oho, ein physikalisch verbildeter DAU! Das hatten wir schon länger nicht mehr! Da muss ich wohl doch härtere
Geschütze auffahren!
"Ich sagte ja auch nicht, dass die Elektronen 'rausfliegen, sondern dass sie 'raustunneln", sage ich streng und
hole tief Luft. "Die minimale Konzentration von negativen Ladungen an der konvexen Grenzschicht des
Atomgitters bewirkt eine deformierte, weil transversal-latent gestauchte Shannon'sche
Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung, so dass die Wahrscheinlichkeit des Walkovsky-Trigger-Effekts, also des
spontanen Durchtunnels der Grenzschicht, infolge der Invertierung des Tensorprodukts im Exponenten gegen
eins geht."
"Oh", sagt er. Mit anderen Worten:
PHYSICAL BULLSHIT MODE ON
In diesem Mode ist ein DAU-Hirn 150% aufnahmefähig für alles, was nach StarTrek-TechTalk klingt, wogegen
sämtlich kritischen Denkstrukturen fürs erste abgeschaltet wurden. In diesem Zustand könnte ich ihm jetzt alles
erzählen. Zum Beispiel auch, dass er nur den obligatorischen GigaBit-Aufschlag nicht entrichtet hat ...
Die Latenzzeit des PHYSICAL BULLSHIT MODE ist allerdings ziemlich kurz; deshalb ist es wichtig, den DAU
ununterbrochen mit neuen Bullshit zu füttern, damit er nicht wieder in normale Gehirnfunktionen zurückfällt.
"Wie gesagt ist das nur eine Hypothese. Sie können das aber ganz leicht überprüfen ... Haben Sie was zum
Schreiben da? Gut. Auf jedem Rechner gibt es einen Befehl 'ping'. Kennen Sie den?"
Er gibt unumwunden zu, dass er ihn nicht kennt. Ausgezeichnet!
"'Ping' steht für 'progressive investigative network gathering' und dient ganz einfach dazu, die Anzahl der
Elektronen zu überprüfen, die durch das Netzwerk geschickt werden. Geben Sie 'ping' und die IP-Adresse des
Rechners ein, den Sie über GBit erreichen wollen. Wenn Ihr Rechner irgendetwas mit 'lost electrons' meldet,
fehlt auf der Gegenseite ein Haufen Elektronen..."
"Ähm ... ok, ich hab's notiert. Dann probier' ich das mal gleich ..."
"Moment", sage ich rasch, "wir müssen schon noch alle Alternativen betrachten. Es könnte ja auch an was ganz
Anderem liegen."
"Was ... was anderem?"
"Eine weitere Möglichkeit ist, dass es an den Windungen zu hyperbolischen Asynchronien im laminaren
Elektronenfluss kommt ..."
"Häh?"
"Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass die Elektronen auf den Innenseite der Biegung schneller sind als
die synchron fliegenden Elektronen auf der Außenseite. Dann verschmiert die Impulswelle, die ja wie jeder weiß
idealerweise rechteckig sein sollte, gaußförmig ..."
"... aha ..."
"... das können Sie ganz leicht abchecken, indem Sie alle Windungen einmal in die eine und dann später wieder
in die andere Richtung legen. Dann kompensieren sich die Asynchronien wieder, weil ja Hyperbeln stetig
differenzierbare Funktionen sind. Sie müssen aber peinlich auf die Orientierung achten!"
"O ... Orientierung? Welche Orientierung denn?"
"Na, dass sich das Kabel zwischen zwei kompensatorischen Biegungen nicht verdrillt, natürlich! Zum Glück ist
auf jedem Kabel ein Strich aufgedruckt, der die Orientierung anzeigt. Sie müssen nur darauf achten, dass der
Strich einmal innen liegt und einmal außen. Verstehen Sie?"
Er meint zögernd, dass er das schon verstehe, dass aber die Leitungen zum Teil unter Putz verlegt worden
seien. Manchmal muss man einfach Glück haben!
"Tja", seufze ich sorgenvoll, "das kann relativ aufwändig werden ... vielleicht liegt ja auch nur eine simple
Verkantung vor."
"Eine ... eine Verkantung ...?"
"Ja, Sie wissen ja: Kategorie-6-Datenbits sind normalerweise quaderförmig, mit genau einer IE
(Informationseinheit) Seitenlänge. In einem langgestreckten Leiter ist das kein Problem, aber wenn es plötzlich
um die Kurve geht, drehen die Bits infolge der Trägheit nicht immer schnell genug mit und dann wird die Breite
eines Datenbits plötzlich mehr als 1 IE. Und wenn viele Bits parallel fliegen, können sich die Dinger verkanten."
"Ja ... aber ..."
"Haben Sie eine Netzkarte von GigaMex? Die Netzkarten von GigaMex sind nämlich die Einzigen, die einen
sogenannten Bit-Moulder verwenden, damit die Datenbits rund sind statt quaderförmig. Da kann es
logischerweise nicht mehr zu Verkantungen kommen ..."
Der Gentechniker ist jetzt komplett verwirrt. Alles, was er noch hervorbringt ist:
"Äh ..."
"Machen Sie folgendes", sage ich energisch, "als allererstes schauen Sie nach, ob die Netzkarten von GigaMex
sind, und wenn nicht, besorgen Sie welche. Wenn das nichts hilft, legen Sie die verlegten Kabel wieder frei und
biegen alle Ecken so, dass sie gegensynchron verlaufen. Hilft das auch nichts, dann tunneln bei Ihnen die
Elektronen ins Freie und es bleibt nur noch die Möglichkeit, die Leitung ganz gerade oder mit ganz weiten
Radien neu zu verlegen."
Er versichert, dass er genau so vorgehen werde und bedankt sich vielmals für die kompetente Beratung.
Abgesehen davon, dass es die Firma 'GigaMex' nicht mal in Mexico gibt, soll er damit glücklich werden!
Ich lege auf und klebe sofort ein gelbes PostIt aufs Telefon, damit ich ja nicht vor nächster Woche nochmal aus
Versehen abhebe! Kein Wunder, dass ich nach Urlaub lechze - bei dem Stress, dem man hier täglich ausgesetzt
ist!
Copyright Florian Schiel 2005
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