«Wir wissen alle, dass Fernsehen dick, dumm, traurig und gewalttätig macht», holte jüngst Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zum Rundumschlag aus - im Fernsehen. In der ZDF-Talksendung «Maybrit Illner» warnte die Christdemokratin während einer Debatte über das Thema Armut energisch vor den Folgen des exzessiven Fernsehkonsums.
Ob Gerichtsshow oder Nachmittagstalk, Wetten-TV, Telenovela oder Boxen - immer wieder bringen Politiker und Wissenschaftler Fernsehkonsum und soziale Frage in Verbindung. Zum Buhmann wird dann ein nachmittags vor der «Glotze» sitzender Hartz-IV-Empfänger, der sich bei Bier und Tiefkühlpizza durch die TV-Welt zappt.
Eine neue «Massenkultur» habe durch das kommerzielle Fernsehen einen Schub bekommen, diagnostizierte der Historiker Paul Nolte («Generation Reform») in der «Zeit». Zwischen RTL II und Dieter Bohlen entstehe eine neue Welt als «mediale Inszenierung des Lebens». Während Arbeit zunehmend an Bedeutung verliere, werde Freizeit immer wichtiger - und damit auch das Fernsehen. Zwar könne eine Minderheit problemlos zwischen «Trash-TV» und Arte, Aldi und Edel-Italiener wechseln. Für die meisten sei aber die neue Massenkultur zur Klassenkultur geworden.
Nach einer Studie der ProSiebenSat.1-Vermarktungsfirma SevenOneMedia haben Bildungsniveau, Einkommen und berufliche Stellung der Zuschauer allerdings keinen Einfluss auf die Entscheidung für Privat oder Öffentlich-Rechtlich, für Richterin Barbara Salesch oder Kultur-Talker Gero von Boehm. Auch der Anteil arbeitsloser Zuschauer sei bei Öffentlich-Rechtlichen (10,3 Prozent) und Privaten (10,8) nahezu identisch.
Selbst bei Top-Verdienern und Bessergebildeten schneiden RTL, Vox und die anderen Privatsender laut Studie zum Teil besser ab als ARD und ZDF. So erreichen die Privaten bei «Top-Verdienern» - Menschen mit mehr als 2500 Euro Haushalts-Nettoeinkommen - einen Marktanteil von 49,4 Prozent, während ARD und ZDF 45,5 Prozent erreichen.
Dagegen kommt eine Studie der ARD-Werbung zum Schluss, dass im größten und kaufkräftigsten Segment der Bevölkerung, den so genannten Leitmilieus, das Erste zu den bevorzugten TV-Programmen zählt. Diese «Selektivseher» seien durch Werbung nur sehr viel schwerer zu erreichen, weil sie weit weniger vor dem Bildschirm sitzen. In Haushalten mit einem Monatseinkommen von 4000 Euro und mehr sitzen die Menschen laut GfK-Marktforschung am wenigsten vor dem Fernseher: zwei Stunden und 20 Minuten pro Tag. Dagegen läuft bei Erwachsenen mit bis 1000 Euro Haushaltseinkommen der Fernseher im Schnitt fünf Stunden und 16 Minuten.
Der Potsdamer Fernsehwissenschaftler Lothar Mikos verfolgt die Debatte über das «Unterschichtenfernsehen» mit gemischten Gefühlen. Schmidts «unsäglicher» Begriff beschreibe «kein bestimmtes Programm, sondern eine kulturelle Haltung». Es gehe um «einen Lebensstil», sagt der Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Konrad Wolf. Die so genannte Unterschicht grenze sich mental selbst aus, indem sie gesellschaftlich erwünschte Haltungen wie Flexibilität, Mobilität, Wissenshunger oder Multimedia-Begeisterung nicht annehme. (dpa)